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Ein Stapel Zeitungen und ein Tablet

Stolpersteine in Lörrach verlegt


Die Zeremonie begann um 16 Uhr in der Carl-Maria-von-Weber-Str. 2 in Stetten. Lars Frick, Fachbereichsleiter Kultur und Tourismus begrüßte die Anwesenden und hob die Bedeutung des Gedenkens und der Aufarbeitung der Einzelschicksale hervor.

In dem Eckhaus, damals mit der Adresse Riehenstraße 1, wohnten 1940 Elise und ihr Sohn Gustav Willstätter. Elise Maier, geboren 1856 in Müllheim, heiratete 1879 den Lörracher Handelsmann und Pferdehändler Jakob Willstätter. Aus der Ehe gingen sieben Kinder hervor.

Der Ehemann Jakob verstarb 1934. Dem Sohn Max gelang Ende der 1930er Jahre die Emigration über Österreich und die Tschechoslowakei nach Argentinien. Am 22. Oktober 1940 wurde die 84-jährige Elise Willstätter zusammen mit ihrem Sohn Gustav nach Gurs deportiert. Ihr Sohn Max bemühte sich umgehend darum, seine Mutter sowie seinen Bruder zu sich nach Argentinien zu holen. Doch die argentinischen Behörden wollten den Verfolgten die beantragten Visa für die Einreise nicht ausstellen. Gleichzeitig versuchte Max Willstätter, die fürchterlichen Lebensumstände seiner Mutter und seines Bruders im Lager Gurs durch zugesendete Lebensmittelpakete sowie Geldzahlungen etwas zu verbessern. Doch wie bei vielen anderen Internierten auch, setzten Krankheiten und Hunger der greisen Elise Willstätter schwer zu. Am 16. Oktober 1941 starb sie im Alter von 85 Jahren an der Ruhr.

Nachfolgend ließ Max nichts unversucht, zumindest noch seinen Bruder Gustav zu retten. Doch auch die Versuche eines Anwalts, die Ausreise von Gustav zu ermöglichen, blieben ohne Erfolg.

Im August 1942 wurde Gustav Willstätter über das Sammellager Drancy nach Auschwitz deportiert. Aller Wahrscheinlichkeit nach wurde Gustav Willstätter unmittelbar nach seiner Ankunft in Auschwitz ermordet.

Die Urgroßenkelin von Max Willstätter, Jaszmin Rosenfeld, war bei der Verlegung anwesend und hielt eine Ansprache. Die Geschichte der Familie Willstätter sowie deren Briefe können im Buch „Semi Uffenheimer. Jüdische Familiengeschichten aus Breisach, Lörrach, Brühl, Graben in Baden und in Argentinien“ von Gabriel Grozmann (2013, Konstanz) nachgelesen werden.

In der Feldbergstraße 32 hielt Oberbürgermeister Jörg Lutz ein Grußwort anlässlich der diesjährigen Verlegung von Stolpersteinen. „Die Erinnerung an die Opfer des Nationalsozialismus ist für uns als Stadt und Gesellschaft eine wichtige Aufgabe“, erklärt Oberbürgermeister Jörg Lutz. „Wir gedenken den Menschen die von dem verbrecherischen Regime verfolgt wurden. Es sollte uns stets eine Mahnung sein.“

An dieser Adresse, ehemals Karlstraße 32, wurden drei Stolpersteine für Fanny Grunkin, ihre Tochter Marie und ihren Sohn Josef verlegt. Fanny Grunkin, geb. 1878 in Russland, war mit ihrem Ehemann Wolf 1904 nach Deutschland eingewandert. Sie hatten vier Kinder: Georg (*1903), Rosa (*1910), Joseph (*1908) und Maria, Rufname Marie (*1913). Der Ehemann verstarb 1934.

Grunkins war wichtig, dass alle Kinder eine gute Berufsausbildung erhielten. Joseph absolvierte eine kaufmännische Lehre und war trotz Beschäftigungsverbot bis Dezember 1938 bei einer Eisenhandlung angestellt. Nach seiner Entlassung war er offenbar als Gelegenheitsarbeiter im Straßen- und Gleisbau tätig. Am 22. Oktober 1940 wurde er aus Riedöschingen nach Gurs deportiert.

Maria absolvierte in Basel eine Ausbildung zur Damenschneiderin, sie machte sich daraufhin mit ihrer Schwester Rosa selbstständig. Rosa heiratete 1938 nach Riehen. Trotz der umfassenden Berufsverbote führte Maria Grunkin den letzten jüdischen Betrieb in Lörrach und verdiente den Lebensunterhalt für sich und ihre verwitwete Mutter Fanny bis zu ihrer Deportation im Oktober 1940.

In Gurs lebten Fanny und Maria mit 50 anderen Frauen in einer Baracke. Rosa und ihr Mann stellten mehrere Anträge auf Einreise in die Schweiz, die für die Mutter von der kantonalen Behörde genehmigt wurde. So konnte sie das Lager Gurs am 20. April1941 verlassen und zog zur Familie ihrer Tochter nach Riehen, wo sie 1956 im Alter von 78 Jahren verstarb.

Maria Grunkin beschreibt in zahlreichen Briefen an ihre Schwester die plötzliche Abreise aus Lörrach, beklagt den Verlust ihres Eigentums und schildert die menschenunwürdigen Bedingungen im Lager Gurs. Im Lager lernte sie den Metzger Franz Wrobel kennen, im April 1941 verlobten sie sich. Marie war im Lager wieder als Schneiderin tätig. Im Juli 1942 schreibt sie, dass sie nicht mehr mit einer Ausreise in die Schweiz rechnet. Am 6. August 1942 wird Maria über das Sammellager Drancy nach Auschwitz abtransportiert und sofort nach der Ankunft am 12. August 1942 in den Gaskammern ermordet.

Joseph Grunkin wurde als Zwangsarbeiter auch außerhalb des Lagers Gurs eingesetzt, teilweise über private Arbeitsverträge „in der Freiheit“, wie er in einem Brief an die Schwester Rosa schrieb. Am 1. September 1942 wurde jedoch auch er nach Auschwitz deportiert. Er musste Zwangsarbeit in verschiedenen Lagern leisten, wurde am 1. Dezember 1944 ins KZ Buchenwald transportiert. Bei der Befreiung des Konzentrationslagers durch die Amerikaner am 11. April 1945 ist Joseph Grunkin nicht mehr dort. Sein Schicksal ist ungewiss. Am 31. Dezember 1945 wurde Joseph Grunkin für tot erklärt.

Stadtarchivar Jürgen Schaser und Sonja Raupp, Fachbereich Kultur und Tourismus, lasen Ausschnitte aus den letzten Briefen von Maria und Joseph Grunkin vor. Diese wurden im Buch „Was wird noch aus uns werden?“ von Lukrezia Seiler (2000, Zürich) veröffentlicht.

In der ehemaligen Herrenstraße 10 vor dem heutigen Hochhaus am Markt wurden im Anschluss zum Gedenken an Elise, Ludwig, Walter Nathan und Heinrich Beck sowie an Emilie Heilbronner, fünf Stolpersteine verlegt. Lars Frick, Fachbereichsleiter Kultur und Tourismus der Stadt Lörrach, las den Brief der Nachfahrin Ronia Beecher aus New York vor, die nicht persönlich an der Stolperstein-Verlegung teilnehmen konnte. Ronia Beechers Großmutter Judith Geismar, geborene Beck, und Ludwig Beck waren (Halb-) Geschwister, Daniel Beck war der Vater von beiden.

Die Familie Beck lässt sich in Lörrach bis in die erste Hälfte des 18. Jahrhunderts nachweisen und gehört somit zu den drei ältesten jüdischen Familien in Lörrach. Um 1735 kamen sie aus dem Elsass nach Lörrach. Ludwig Beck, geboren am 2. Juli 1869 war gelernter Metzger und betätigte sich als Viehhändler. Sein Wohn- und Geschäftssitz war die Herrenstraße 10.

Aus Ludwigs Ehe mit Elise Beck, geborene Heilbronner, gingen zwei Söhne hervor: Walter Nathan und Heinrich. Von allen unmittelbaren Familienangehörigen sollte nur Heinrich die Shoah überleben. Ihm gelang 1938 die Flucht in die Vereinigten Staaten.

Zu den tief beunruhigenden Nachrichten, die Heinrich Beck erreichten, gehörte ohne Zweifel das Pogrom vom 9./10. November 1938, im Zuge dessen sein Vater und sein Bruder in Lörrach verhaftet wurden und in der Nacht des 10. auf den 11. November in das Konzentrationslager Dachau verbracht wurden. Knapp zwei Jahre später, am 22. Oktober 1940, wurden Vater, Mutter, sein Bruder Walter und seine Tante Emilie Heilbronner in der Herrenstraße 10 von der Gestapo abgeholt und in den unbesetzten Teil Frankreichs deportiert. Im Lager Gurs starben Vater Ludwig und Bruder Walter nur wenige Wochen nach ihrer Einlieferung an den erbärmlichen Lagerbedingungen.

Emilie Heilbronner, wurde am 8. August 1942 über das Sammellager Drancy nach Auschwitz deportiert. Elise Beck sollte ihr auf diesem Weg 20 Tage später folgen. Beide wurden in Auschwitz ermordet.

Die Verlegung der Stolpersteine wurde in Lörrach erstmalig nicht vom Künstler Gunter Demnig selbst, sondern von Mitarbeitern des Werkhofs Lörrach durchgeführt. An allen drei Orten begleiteten David Glenn und Christine Blunck die Verlegung musikalisch.

Im Anschluss lud Landesrabbiner Moshe Flomenmann um 18.15 Uhr alle Interessierten zum Gottesdienst mit Gebeten für die Menschen, derer mit einem Stolperstein gedacht wurde, in die Lörracher Synagoge ein.

Auf der Homepage der Stadt Lörrach unter www.loerrach.de/Stolpersteine finden Interessierte weitere Informationen zu den Schicksalen der einzelnen Opfer des Nationalsozialismus, für die in Lörrach Stolpersteine verlegt wurden, sowie die Ansprachen bzw. Videos der Nachfahren.

Stabsstelle Medien und Kommunikation

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