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Get together im Burghof-Foyer

Neujahrsansprache von Oberbürgermeister Jörg Lutz anlässlich des Neujahrsempfangs am 8. Januar 2024

Sehr geehrte Damen und Herren,
liebe Mitbürgerinnen und Mitbürger,

zum neuen Jahr wünsche ich Ihnen und Ihren Familien alles erdenklich Gute, Gesundheit und Glück. Ich hoffe, Sie sind gut ins neue Jahr 2024 gestartet. Schön, dass sie heute Abend alle hier sind.

Im Gegensatz zur guten Stimmung hier im Saal ist die Stimmung im Land nicht ganz so rosig: Die Umfragewerte zeigen, dass die Menschen wenig optimistisch in die Zukunft schauen. Nur 28 Prozent zeigten sich in einer Allensbach-Umfrage zum letzten Jahreswechsel wirklich positiv gestimmt. Haben Sie in jüngster Zeit einmal versucht schnell einen Handwerker- oder Arzttermin zu bekommen? Wenn Sie an Ihre nächste Heizung oder Ihr nächstes Auto denken: Wissen Sie genau, was für Sie das Richtige ist? Viele Gewissheiten vergangener Jahre scheinen plötzlich verschwunden zu sein. Das schlägt auf die Stimmung.

Europa und die Welt schauen kritisch auf Deutschland. Unter vorgehaltener Hand macht das Wort vom „Kranken Mann am Rhein“ schon wieder die Runde. Manchmal hat man das Gefühl, dass sich viele Menschen bei uns ob der aktuellen Entwicklungen chronisch gestresst fühlen und ständig gereizt sind. Bei der Zeitungslektüre der letzten Wochen bin ich dazu auf zwei Artikel gestoßen, die sich im ersten Moment zu widersprechen scheinen.

Vor wenigen Wochen, am 2. Dezember, führt die Basler Zeitung unter der Überschrift „Deutschland fehlt die Energie“ in einem Kommentar aus, dass Deutschland im realen Sinn Energie fehle, also Gas und Strom. Aber auch im übertragenen Sinn fehle die Energie. Aus Deutschland, dem Land der Macher, der Anpacker und Chrampfer sei ein Land von Zögerern und Zauderern geworden. Für all diejenigen, denen das Schweizerdeutsche nicht so geläufig ist, hier noch die Erklärung, was ein Chrampfer ist: Das ist einer, der hart arbeitet. Und wenn jemand so betitelt wird, dann schwingt da ehrliche Anerkennung mit.

Wenige Tage nach der Basler Zeitung, nämlich am 22. Dezember, titelt die FAZ: „Deutschland ist völlig überarbeitet“. Und die Frankfurter Allgemeine ist ja nicht gerade als das Sprachrohr der deutschen Gewerkschaftsbewegung bekannt. In dem Artikel wird von Pflegekräften, Bahnmitarbeitenden, Handwerkern und Ärzten berichtet, die aufgrund des Arbeitskräftemangels seit Jahren hart am Limit arbeiten müssen, um „den Laden überhaupt noch am Laufen zu halten“.

Ja was denn nun? Wer hat Recht? Die Basler Zeitung oder die FAZ? Sind wir nun keine Anpacker, keine Chrampfer mehr oder arbeiten wir in Wirklichkeit so viel, dass wir völlig überarbeitet sind?

Ich glaube beides trifft zu und möchte den scheinbaren Widerspruch mit einer kleinen Geschichte auflösen. Ein Spaziergänger geht durch den Wald und sieht dort einen Waldarbeiter, der schwitzend mit einer großen Säge erfolglos versucht einen Baum zu fällen. Kleine Anmerkung: Der Baum wird übrigens für ein Holzhaus verwendet. Die Geschichte ist also ökologisch völlig korrekt. Aber zurück zum Waldarbeiter: Der müht sich also vergeblich ab, denn seine Säge ist ganz offensichtlich stumpf, weshalb er nicht vorankommt. Der Spaziergänger ruft dem Waldarbeiter zu, er solle doch kurz innehalten und seine Säge schärfen, dann käme er viel schneller voran. Daraufhin antwortet der Waldarbeiter knapp: „Keine Zeit, ich habe keine Zeit meine Säge zu schärfen, ich muss doch schließlich den Baum fällen.“

Mir scheint dieses Bild ganz treffend, weil wir in Deutschland derzeit nicht in allen Bereichen unsere Säge gut geschärft haben. Lassen Sie uns gemeinsam bei vier wichtigen Bereichen anschauen, wie scharf in diesen unsere Säge ist.

Bürokratie, Digitalisierung, Kampf gegen den Klimawandel und Finanzen.

Ein Bereich, wo unsere Säge extrem stumpf ist, manchmal glaube ich sogar, dass wir gar nicht sägen wollen, das ist unsere Bürokratie. Und deren dringend erforderlicher Abbau. Es ist doch wirklich zum Haare raufen: Alle, aber auch wirklich alle wünschen sich weniger Bürokratie. Oder kennen Sie jemand, der Bürokratie gut findet? Warum in aller Welt kommen wir also nicht voran? Wir könnten uns das Leben so viel einfacher machen. Nach aktuellen Berichten verwenden Klinikärzte bis zu 40 Prozent ihrer Arbeitszeit für Dokumentation und bürokratischen Aufwand. Wem nützt das? Ihnen als Patient sicher nicht. Und können wir uns das in Zeiten des Fachkräftemangels noch leisten? Ein Beispiel für überbordende Bürokratie aus unserer Verwaltung: Vor wenigen Wochen hat das Bundesinnenministerium die Anwendungshinweise für das Fachkräfteeinwanderungsgesetz aktualisiert. Was glauben Sie, wie viele Seiten diese neuen Hinweise umfassen? 50, 100? Weit gefehlt. Unfassbare 218 DIN A 4 Seiten. 218 Seiten nur für ein Gesetz. Die müssen unsere Mitarbeitenden lesen und umsetzen. Wir haben aber nicht nur dieses eine Gesetz anzuwenden. Rund 4.500 Gesetze und Verordnungen kommen alleine aus Berlin. Dazu kommen noch die aus Stuttgart und Brüssel.

Man fragt sich, wie die Menschheit das früher geregelt hat. Im Alten Testament ging Moses auf den Berg um von Gott die Gebote für das menschliche Zusammenleben zu erhalten. Er kam mit zehn Geboten zurück. Mit zehn! Und die waren ganz einfach. Da steht: Du sollst nicht stehlen. Punkt. Da stand nicht: Du sollst nicht stehlen, außer wenn Du die Voraussetzungen der folgenden Ausnahmetatbestände erfüllt hast. Und deshalb haben die 10 Gebote auch auf zwei Steintafeln gepasst. Aber vielleicht wäre das ja die Lösung: Wenn alle Verantwortlichen in den Ministerien ihre Gesetze und Erläuterungen auf Steintafeln meißeln müssten. Ich bin überzeugt, wir hätten genauso gute, aber viel prägnantere Gesetze. So gleicht die deutsche Bürokratie immer noch einer Hydra, jener neunköpfigen Wasserschlange der griechischen Sagenwelt. Für jeden Kopf, den man dieser abschlägt, wachsen zwei neue nach.

Kommen wir zur Digitalisierung. Alle reden derzeit von Künstlicher Intelligenz. Fluch oder Segen, wir wissen es noch nicht. Bevor wir an deren Einsatz wirklich denken können, müssen wir erst einmal die Grundlagen der Digitalisierung schaffen. Längst müssten nach der eigenen gesetzlichen Vorgabe des Bundes, dem Online-Zugangs-Gesetz, alle für Sie als Bürgerinnen und Bürger wichtigen Vorgänge, und alle meint 581 Vorgänge, medienbruchfrei online verfügbar sein. Das wäre angenehm für Sie als Bürger und unsere hochbelasteten Mitarbeitenden würden entlastet. Dazu fehlen aber effiziente und einheitliche Programme. Das zeigt auch eine Umfrage von Verivox. Deshalb muss sich jede Kommune alleine mühsam durch Deutschlands digitalen Dschungel kämpfen. Trotz aller Hindernisse haben wir wichtige Fortschritte erzielt. In unserer Verwaltung haben wir in dem gerade besonders belasteten Bereich der Ausländerbehörde als erste in Baden-Württemberg alle derzeit möglichen Prozesse digitalisiert. Das bringt sowohl für die Nutzerinnen und Nutzer als auch für die Mitarbeiter erhebliche Fortschritte. Im Bereich der Bürgerbüros Insel haben wir ein neues digitales Besucherleitsystem eingeführt und sind derzeit dabei, die elementarsten Prozesse für die Bürger zu online verfügbar zu machen. Aber es bleibt halt die Erkenntnis: Die digitale Landschaft in Deutschland ist viel zu zersplittert. Hier fordere ich von Land und Bund deutlich mehr Stringenz und Unterstützung. Da braucht es Verantwortliche, die für das Thema brennen.

Die vielleicht wichtigste Herausforderung ist der Kampf gegen den Klimawandel. Hier haben wir unsere Säge geschärft, um im Bild zu bleiben, aber der Baum ist dafür ziemlich dick. Mittel- und langfristig müssen wir uns von unseren Öl- und Gasheizungen verabschieden, weil sie zu viel CO2 ausstoßen. Ich weiß, dass viele mit dieser Erkenntnis hadern, weil sie unbequem und teuer ist. Und ich weiß, dass die Politik im Rahmen ihrer Möglichkeiten dazu beigetragen hat, die Haus- und Wohnungsbesitzer zu verunsichern. Jetzt aber ist ein gangbarer Weg definiert und da spielt die Nahwärme eine zentrale Rolle. Unsere Stadtwerke mit ihrer Stadtenergie legen deshalb einen Schwerpunkt ihrer Aktivitäten auf dem Ausbau der Wärmenetze. Rund 15 Kilometer Wärmenetz sind schon verlegt. Im Rahmen der Wärmeplanung haben wir gemeinsam mit dem Landkreis die Bereiche ermittelt, in denen der Ausbau von Wärmenetzen Sinn macht. Aktuell entsteht unter dem Neubau der Turnhalle der Fridolinschule eine Wärmezentrale für Stetten. Zudem planen wir, die Abwärme von Industriebetrieben zu nutzen und in Abstimmung mit badenova die Nutzung von Oberflächengeothermie zu erschließen. Unser Projekt Lauffenmühle kennen Sie und bei der Neuen Mitte Nordstadt wird unsere Wohnbau zum ersten Mal Recycling-Beton verwenden, dessen Verwendung rund 30 Prozent CO2 einspart.

Bei unseren städtischen Finanzen geht es um eine Aufgabe, die wir selber lösen müssen, die Lösung aber nicht so einfach ist, weil wir nicht alles in der Hand haben. Wir spüren aber, dass die Spielräume noch enger werden.

Auf der Ausgabenseite drücken uns immer neue Verpflichtungen: Wir brauchen mehr Erzieherinnen für mehr Kinderbetreuung, zusätzliche Betreuungskräfte für den Rechtsanspruch auf Ganztagesbetreuung an der Grundschule und einen neuen Kommunalen Ordnungsdienst, um Aufgaben zu übernehmen, die früher die Polizei übernehmen konnte, auch wenn sie dazu vielleicht gar nicht verpflichtet war. Deshalb, der dringende Appell an alle: Kein einfaches „Weiter so“ beim Schaffen, aber auch beim Fordern von neuen Standards, Rechtsansprüchen und staatlichen Leistungszusagen.

Und was uns nicht nur drückt, sondern fast erdrückt, ist der Bauunterhalt für unsere Kitas, Schulen und Sporthallen. Auch diese Aufgabe gleicht zunehmend einer Hydra. Sie erinnern sich noch: Die Schlange mit den vielen Köpfen. Für jedes Gebäude, das wir saniert haben kommen gefühlt zwei neue sanierungsbedürftige Gebäude hinzu. Kaum haben wir die Albert-Schweitzer-Schule erweitert und saniert, regnet es dafür durch das Flachdach des Hebel-Gymnasiums und die THR-Sporthalle ist marode. Kaum haben wir den Waldorf Kindergarten neu gebaut, kündigen sich Hiobsbotschaften vom Salzert an und auch in Brombach und beim Guten Hirten sieht es nicht gut, sondern schlecht aus. Wir haben Jahre und Jahrzehnte von unserer Substanz gelebt. In Deutschland und in Lörrach. Das rächt sich jetzt.

Also ist Sparen angesagt. Das klingt gut und das fordern auch viele. Endlich rudern, harte Einschnitte! Wir schärfen unsere Säge und werden als Verwaltung unter meiner Führung einen Vorschlag zu möglichen Einschnitten machen. Aber lassen Sie einmal vor Ihrem geistigen Auge die Einrichtungen und Leistungen in unserer Stadt vorüberziehen. Was glauben Sie persönlich: Können wir einfach auf eine dieser verzichten ohne dass es jemand merkt? Und wenn Ihnen eine einfällt, auf die Sie verzichten könnten. Glauben Sie, dass auch alle anderen in Lörrach Ihre Meinung teilen?

Wir brauchen neben der Diskussion im Gemeinderat auch einen Diskurs mit Ihnen, den Bürgerinnen und Bürgern, wohin sich unsere Stadt entwickeln soll. Welche Einrichtungen und Leistungen halten Sie für unverzichtbar? Wie können diejenigen, die wirtschaftlich breitere Schultern haben etwas mehr von den finanziellen Lasten tragen? Wie kann der soziale Friede und die soziale Gerechtigkeit gewahrt bleiben? Wir müssen schauen, wie wir diesen Prozess organisieren.

Irgendwer hat mal gesagt: Opposition ist Mist. In diesem Sinne sage ich: Nur sparen ist Mist. Und deshalb liegt es mir besonders am Herzen, auch unsere Einnahmenseite zu verbessern. Das geht vor allem über die Ansiedlung neuer Betriebe und deren Gewerbesteuer. Im Gewerbegebiet Brombach Ost sind bald erste Ansiedlungserfolge zu verzeichnen. Auf das Projekt Lauffenmühle erfahren wir auf das geplante erste Gewerbegebiet in Holzbauweise sehr viel positive Reaktionen. Und ich hoffe, dass wir endlich auch beim Koechlin Areal vorankommen.

Diese Finanzmittel werden wir auch dringend benötigen, um die unvermeidbare Sanierung des Rathauses beziehungsweise einen Neubau umsetzen zu können. Leider verträgt der aktuelle Zustand des Rathauses kein Aufschieben mehr. Alles Nähere dazu in der Einwohnerversammlung am 17. Januar.

Von Charles Darwin, dem Evolutionsforscher, stammt folgende Erkenntnis: „Nicht die Stärksten oder die Intelligentesten werden überleben, sondern diejenigen, die sich am schnellsten anpassen". Dem entspricht ein bekanntes Bonmot: „Wer nicht mit der Zeit geht, geht mit der Zeit“. Das sollte uns als Land und als Stadt nicht passieren.

Ich lade Sie herzlich ein, jede und jeder von Ihnen an seiner Stelle: Lassen Sie uns die erforderlichen Anpassungen vornehmen, lassen Sie uns unsere Säge schärfen, wo notwendig. Und machen wir das mit Optimismus und Lust auf die Zukunft. Wenn wir die Aufgaben richtig anpacken, dann bin ich mir sicher, dass wir Lörrach in eine gute Zukunft bringen, ohne uns völlig zu überarbeiten. Dann wird kein Baum zu dick, keine Aufgabe zu groß sein und Lörrach auch in Zukunft die Stadt, in der wir alle gut und gerne leben.

Ich wünsche unserem Lörrach und damit Ihnen allen von Herzen alles Gute für 2024.

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