Voraussetzungen und Ablauf zur Verlegung
Grundlagen
Die Stadt Lörrach begrüßt die Initiative „Stolpersteine“ des Künstlers Gunter Demnig ausdrücklich. Die Idee einer grenzüberschreitenden, universalen Erinnerungsform an die Opfer der nationalsozialistischen Herrschaft ist beispielhaft. Auch wenn die Opfer durch im Boden verlegte Stolpersteine nachträglich „mit Füßen getreten werden“ könnten, erscheint uns die Geste der Verbeugung vor den Opfern einem würdigen Gedenken angemessen. Diese Einschätzung teilt so mittlerweile auch die Israelitische Kultusgemeinde Lörrach (IKG). Für die Stadt Lörrach liegt der Wert dieses Kunstprojektes auch darin, dass an zentralen Orten der Stadt gezielt Stolpersteine verlegt werden können, die an das Leiden der verfolgten und ermordeten Menschen in Lörrach erinnert.
Die Verlegung von Stolpersteinen in Lörrach kann aber nicht die einzige Erinnerungsform zur Zeit des Nationalsozialismus sein. Wir empfehlen darüber hinaus die Einrichtung eines Erinnerungsrundwegs durch die Innenstadt mit Stationen an historisch wichtigen Orten und Gebäuden, sowie die Errichtung eines zentralen Gedenkortes für alle Opfer des Nationalsozialismus. Im Rahmen einer verantwortungsbewussten Erinnerungskultur halten wir es für unerlässlich, dass vor einer möglichen Stolperstein-Verlegung eine sehr sorgfältige Prüfung jedes einzelnen Falls vorgenommen wird. Auch halten wir es nicht für zielführend mit zu vielen Steinen im Stadtbild den Wert jedes einzelnen Steins und damit die Würdigung jedes einzelnen Schicksals zu mindern. Daher wird die Stadt Lörrach sehr gewissenhaft prüfen, wo und für wen Stolpersteine verlegt werden. Dies soll im guten Miteinander von bürgerschaftlichem Engagement, politischen Vertretern und fachlicher Expertise geschehen.
Zu prüfen sind hierbei sowohl die ausreichende Dokumentation jedes einzelnen Schicksals, als auch eine ausgewogene Verteilung auf die verschiedenen Opfergruppen. Diese Prüfung soll durch einen Beirat zum Gedenken an die Opfer des Nationalsozialismus durchgeführt werden, dessen Zusammensetzung wie folgt vorgeschlagen wird: je ein*e Vertreter*in der Gemeinderatsfraktionen, je ein*e Vertreter*in des Stadtarchivs und des Fachbereichs Kultur und Tourismus, ein*e externe*r Sachverständige*r und ein*e Vertreter*in der Jugend. Der Beirat soll ein- bis zweimal pro Jahr tagen und die gesammelten Anträge und Dokumentationen prüfen und entscheiden.
Bürgerschaftliches Engagement bei der Recherche und Vorbereitung von Stolpersteinen ist ausdrücklich erwünscht und für diese Gedenkform unerlässlich, hierbei kann es sich beispielsweise um eine Initiativgruppe, Interessensgemeinschaft, Historiker oder Schulklasse handeln, die einzelne Schicksale recherchieren. Die Stadt Lörrach wird mittels des eingerichteten Beirats den Fortgang des Projektes in Lörrach aktiv begleiten und ggf. steuern. Das öffentliche Gedenken in einer Stadtgesellschaft an die Opfer des Nationalsozialismus muss letztlich durch einen transparenten Diskurs begleitet sein und kann nicht der individuellen Entscheidung einer einzelnen Person oder Personengruppe überlassen bleiben.
Richtlinien für die Genehmigung zur Verlegung von Stolpersteinen in Lörrach
- 1. Stolpersteine in Lörrach werden für Menschen verlegt, deren Lebensmittelpunkt Lörrach war, die unter dem nationalsozialistischen Herrschaftssystems sehr unmittelbar gelitten haben und deren Lebens- und Leidensweg ausreichend gut dokumentiert ist.
- 2. Stolpersteine in Lörrach werden nicht verlegt, wenn direkte Nachfahren der Opfer sich explizit gegen eine Verlegung aussprechen.
- 3. Stolpersteine werden nicht verlegt oder nachträglich entfernt, wenn ausreichend dokumentiert ist, dass die gewürdigten Personen in ihrem Leben und Wirken den Grundsätzen der Lörracher Erinnerungskultur widersprochen haben bzw. dass sie nicht nur Opfer sondern auch Täter waren.
- 4. Stolpersteine in Lörrach werden nach einer ausreichenden Prüfung der historischen Dokumente verlegt, aus denen eindeutig hervorgeht, dass die unter 1 genannten Kriterien erfüllt sind. Diese historischen Dokumente und Quellen sind durch bürgerschaftliche Initiativgruppen zu recherchieren und in aufbereiteter Form dem Stadtarchiv vorzulegen. Die Prüfung erfolgt durch Mitarbeiter*innen des Stadtarchivs oder durch Historiker*innen, die vom Stadtarchiv beauftragt werden.
- 5. In Lörrach verlegte Stolpersteine enthalten kein Vokabular, das sich eindeutig auf die Ideologie des Nationalsozialismus bezieht und welches aus heutiger Sicht nur mit Erklärungen verständlich wird. Begrifflichkeiten wie „Volksschädling“, „Rassenschande“ oder ähnliche bedürfen einer ausführlichen historischen Erklärung, die aber auf dem kleinen Format eines Stolpersteins nicht umgesetzt werden kann.
- 6. Die geprüften Empfehlungen werden durch den Beirat zum Gedenken an die Opfer des Nationalsozialismus begutachtet und genehmigt. Nur in strittigen Fällen übergibt der Beirat dem Gemeinderat die Entscheidung mit einer begründeten Beschlussempfehlung.
Verfahren zur Verlegung eines Stolpersteins
- 1. Erarbeitung einer überprüfbaren Biografie durch bürgerschaftliches Engagement unter Angabe von Quellen und Dokumenten. Benennung von möglichst Namen, Geburts- und Sterbedatum, Geburts- und Sterbeort, Art der Verfolgung bzw. Todesursache, Dauer des Wohnsitzes in Lörrach sowie genaue Adresse.
- 2. Kontaktaufnahme zu möglichen direkten Nachfahren der Opfer durch die jeweilige Initiativgruppe und Einholung deren Einverständnisses.
- 3. Prüfung der Quellen und Dokumente durch Mitarbeiter*innen des Stadtarchivs und/oder durch Historiker*innen, die durch das Stadtarchiv beauftragt werden.
- 4. Prüfung der baulichen und verkehrsrechtlichen Voraussetzungen zur Verlegung des jeweiligen Stolpersteins durch Mitarbeiter*innen der zuständigen Stellen in der Stadtverwaltung Lörrach (Eigentumsverhältnisse, verkehrsrechtliche Fragen, etc.)
- 5. Fundraising/Sammlung von Spenden zur Deckung der Kosten für die jeweiligen Stolpersteine durch die Initiativgruppe
- 6. Im Anschluss Beauftragung des Künstlers Demnig durch die Initiativgruppe und Terminfindung
- 7. Stadt Lörrach und Initiativgruppe organisieren Rahmenveranstaltung in Kooperation zur Verlegung der Stolpersteine. Potentielle Nachfahren werden durch die Stadt Lörrach eingeladen.
- 8. Die Stadt Lörrach trägt die Kosten der Verlegung, der Veranstaltung und der Einladung von direkten Nachfahren.
Beirat zum Gedenken an die Opfer des Nationalsozialismus in Lörrach unter besonderer Berücksichtigung von Stolpersteinen und anderen öffentlichen Gedenkformen
- 1. Zusammensetzung
a. je ein Mitglied der Fraktionen im Lörracher Gemeinderat
b. ein Mitglied des Stadtarchivs Lörrach
c. ein Mitglied des Fachbereichs Kultur und Tourismus der Stadt Lörrach
d. ein externe*r Sachverständige*r
e. ein Mitglied der Lörracher Jugend(organisationen) - 2. Aufgaben
- Vorschlagsrecht für geeignete Gedenkformen und –formate zu den Folgen des Nationalsozialismus
- Entscheidung zur Verlegung von Stolpersteinen
- Prüfung und Wahrung der Voraussetzungen zur Verlegung von Stolpersteinen
- Wahrung der Ausgewogenheit zwischen den Opfergruppen in allen Gedenkformaten
- Entscheidung zur Abfolge von Stolpersteinverlegungen und Errichtung von anderen Gedenkformaten
- ggf. Entscheidung über Entfernung eines Stolpersteins bzw. Korrektur einer Gedenkform bei verändertem historischen Forschungsstand (Opfer zugleich auch Täter, Fehler in der bisherigen Dokumentation etc.) - 3. Regularien
- Beirat wird durch Fachbereich Kultur und Tourismus einberufen, in der Regel einmal pro Jahr,
- Maximal 20 Stolpersteine pro Jahr sollen verlegt werden (Richtgröße)
- Fachbereich Kultur und Tourismus informiert den Gemeinderat über den Fortgang des Projekts und der Entscheidungen
- Entscheidungen werden per Stimmenmehrheit getroffen, bei Stimmengleichheit wird die Entscheidung an den Hauptausschuss der Stadt Lörrach delegiert.